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Nach Berlin bei Regen – jetzt: Neukölln bei Sonne
„Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah?“
Johann Wolfgang von Goethe
Goethe hatte auch diesmal wieder recht!
Nach meinem letzten Ausflug durch ein verregnetes Berlin-Mitte (hier geht’s lang) war diesmal Neukölln dran – bei spätsommerlicher Sonne, die selbst die Ecken zum Leuchten bringt, die sonst im Halbschatten liegen.
Ich muss zugeben: Ich war schon ewig nicht mehr in Neukölln unterwegs. Wie so viele in Berlin bleibe ich viel zu oft im eigenen Kiez hängen – Prenzlauer Berg. Denn Berlin ist tückisch: Jede Nachbarschaft ist wie ein eigenes kleines Dorf, mit allem, was man braucht. Warum also rausgehen? Genau deshalb.
Ein freier Sonntag, keine Termine, Spätsommerlicht. Zwischen Flohmarkt, Kunst unter Brücken, ruhigen Parks und moderner Kiezküche – und ganz ohne Erwartungsdruck.
Wer Lust hat, Neukölln mal anders zu entdecken, bekommt hier einen abwechslungsreichen Streifzug durch einen Teil Neuköllns, der viel mehr kann als Kneipen – vom Nowkoelln Flowmarkt bis zum Abendessen bei Frieda Schlamassel.

An einem Sonntag in Neukölln
Wenn ihr nicht hetzen wollt, lohnt es sich, einen knappen Tag einzuplanen.
Mein Startpunkt: die U-Bahnstation Schönleinstraße an der U8 – direkt an der Grenze zwischen Kreuzberg und Neukölln, aka Kreuzkölln. Ein Sonntagmorgen wie aus dem Berliner Lehrbuch: Neukölln schläft noch, ich irgendwie auch.
Die Straßen still, das Licht spätsommerlich weich, Leute schieben Kinderwagen oder führen Hunde aus. Graffiti auf den Fassaden, Kiezgrün zwischen Bordstein und Fassade, Spätis im Halbdämmer – so starte ich meine Tour.

Nowkoelln Flowmarkt – Wusel, Vintage & Wasserblick
Gegen 11:00 Uhr erreiche ich den Nowkoelln Flowmarkt. Wo eben noch Hundehalter und Kaffeetrinker unterwegs waren, wimmelt es jetzt: Vintage-Stände, Plattenspieler, Designsachen, Kitsch. Eine Wusel- und Gedränge-Oase im immer noch schläfrigen Neukölln
Der Flohmarkt zieht sich direkt am Maybachufer entlang, unter alten Bäumen, zwischen Tartan-Decken und Kaffee- und Essens-Ständen.

Der Flowmarkt ist größer als ich dachte, ich bleibe länger als geplant. Wie immer auf Flohmärkten. Und, wie immer, kaufe ich etwas, obwohl ich das, wie immer, nicht vorhatte: neue Ringe, ohne zu handeln – zu wenig Energie dafür an einem Sonntagmorgen ;-).
Fazit: Rockt, Pflichtprogramm für Trödel-Fans – plant dafür locker 45-60 Minuten ein.

Lunch & Luft – Nepalesisches Curry trifft Uferkunst
Die Weserstraße ist so etwas wie das Epizentrum im Kiez. Als ich dort aufschlage, wirkt sie noch erstaunlich verschlafen. Keine Bar geöffnet, keine Schnapsleichen, keine Mucke schallt aus den Fenstern. Genau so hatte ich mir das vorgestellt – an einem Sonntag in Neukölln.
Eigentlich will ich ins angesagte Dots Café, ist aber zu voll, leider. Kein Drama – die Auswahl hier ist ohnehin absurd groß: Cafés, Bäckereien, Falafel, Fusion, fancy Bowls. Ich lande schließlich ein paar Schritte weiter im Mitho Cha – einem nepalesischen Restaurant, sitze draußen, bestelle ein Curry mit Reis – diesmal vegan, freundlich gewürzt. Gute Wahl.

Nach dem Essen geht’s weiter – Verdauungsspaziergang Richtung Weigandufer. Der Weg entlang des Kanals ist ruhiger, weniger trubelig, zurückhaltender, kurz: weniger „hip“ als am Maybachufer.
Zwischendurch ein paar entspannte Cafés am Ufer, Spaziergänger. Und dann – völlig unerwartet – geht’s an der Wildenbruchbrücke eine Treppe nach unten. Rau und roh, wie Berlin eben. l love it.
Unter der Brücke befindet sich die „Kunstbrücke am Wildenbruch“ – ein Mini-Ausstellungsraum, der tatsächlich unter dem Brückengewölbe liegt. Aktuell läuft dort die Ausstellung „Holy Shit oder das stille Örtchen“ – ja, genau so heißt sie. Kleiner, versteckter Raum, starker Kontrast
Fazit: Gutes Curry, ehrliches Ufer, Kunst im Untergrund – alles drin für die mittägliche Kiezpause.

Ramones Museum & Coffee Break – zwischen Punk & Puderzucker
Ein paar Minuten zu Fuß, und ich stehe vor dem Ramones Museum – recht frisch aus Mitte umgezogen, noch nicht komplett eingerichtet, aber definitiv offen für Besuch.
Die Ausstellung ist kleiner als früher, kompakter. Zwei Räume, verbunden über eine Toilette. Kein Witz. Fotos, Flyer, Vinyl, Aufnäher – die Devotionalien eines Jahrzehnts mit zu viel Lautstärke und zu wenig Kompromiss.
Die Musik stimmt, die Szene auch: Schwarze Hoodies, Buttons, gepflegte Nachmittags-Biere, dazu ein bisschen müder Tageslichtfilter. Ich mag’s. Punk atmet hier weiter – so, wie Berlin es eben doch noch kann.

Ich denke schon wieder ans Essen. Es ist Kuchenzeit. In der Kuchenvitrine ist nix dabei für mich. Aber kein Problem: Hier an der Ecke Weserstraße / Wildenbruchstraße gibt es gleich drei solide Alternativen:
- Café Mona Lisa: Ich lande am Ende dort. Guter Kuchen, nette Leute, kein überkandideltes Instagram-Interior. Empfehlung.
- Wolf Kino: Direkt gegenüber – Programmkino mit Café und Bar, immer wieder tolle Indie-Filme, oft mit Q&As oder Mini-Festivals.
- K-Fetisch: Über die Kreuzung – Café, Buchhandlung, Zeitungsregale mit allem von Philosophie bis queerer Popkultur – War diesmal nicht auf dem Zettel, eingeplant für’s nächste Mal.
Fazit: Museum durchs Klo, Kuchen mit Charakter – Neukölln in Bestform.

Sonnenallee bis Körnerpark – ein Spaziergang mit Wendungen
Ich laufe weiter über die Sonnenallee. Viel Verkehr, viel Leben – Spätis, Cafés, Handyläden, arabische Schriftzüge, Stimmengewirr, Shisha-Wolken. Berlin auf Anschlag, und das mitten am Sonntag. Wer denkt, hier ist nur Szene und Chaos, liegt falsch – es ist mehr: Alltag mit vielen Sprachen.
Ein paar Straßen weiter wird’s ganz anders. Ich biege ab Richtung Richardplatz – und stehe in Rixdorf. Kopfsteinpflaster. Blumentöpfe vor der Tür. Ambiente fast wie im Winsviertel, aber mit mehr Geschichte.
Hier liegt auch die älteste Schmiede Berlins, man fühlt sich wie in einem vergessenen Dorf, obwohl links und rechts U-Bahnen durch die Stadt rauschen. Mehr über Rixdorf auf visit Berlin.

Dann weiter Richtung Körnerpark – einmal quer durch Neukölln, eine gute halbe Stunde unterwegs insgesamt, aber mit vielen kleinen Wechseln im Takt. Alle paar Straßen ändert sich das Publikum.
Am Körnerpark angekommen, biege ich gleich links ab zur Orangerie – ein altes Gewächshaus, heute Café und Kunstgalerie. Die große Wiese davor: gepflegt, grün, beliebt – aber nicht zugemüllt, sondern für Berlin ziemlich aufgeräumt. Hier picknickt Neukölln – mit Abstand und ohne Einweggrill.
Fazit: Vom Großstadtgedränge ins Berliner Dorf und weiter zur Picknick-Oase – Neukölln macht Tempo- und Stimmungssprünge wie kaum ein anderer Stadtteil.

Karl-Marx-Straße & Dinner bei Frieda Schlamassel – ein runder Abschluss
Wer nach dem Körnerpark schon müde ist, kann einfach im Biergarten der Villa Rixdorf einkehren – Berliner Küche, relaxter Garten,
Ich laufe zurück – diesmal über die Karl-Marx-Straße, die sich anfühlt wie die große Schwester der Sonnenallee: Shisha-Bars, Süßwarenläden, Friseure, Hochzeitsmoden, Handyläden, Straßenleben nonstop.
Besonders schön: der Durchgang zum Passage Kino – überraschend ruhig und charmant zwischen den Häuserzeilen.

Gegen 18 Uhr bin ich wieder in der Gegend der Schönleinstraße, wo ich zwei Dinner-Spots ins Auge gefasst hatte:
The Rad – eine stylische Natural-Wine-Bar – war leider schon rappelvoll.
Ich bin dann nebenan ins Frieda Schlamassel – ein echter Glücksgriff. Der Name täuscht: Das Gegenteil von Schlamassel. “Neue Deutsche Küche” ist wieder im Kommen (siehe das Panther in meinem „Berlin bei Regen“-Post) – und Frieda macht das richtig gut
Ich hatte Kohlrabi-Carpaccio, echte Bouletten, zum Dessert Vanilleeis mit Maracuja – dazu ein Rheinhesse. Und, weil’s so ein schöner Tag war: eine Kippe zum Abschluss. Nach 20.775 Schritten, laut Health App, darf auch das sein.
Danke, Neukölln. Für Flohmärkte, Kunst im Untergrund, leise Parks, laute Straßen, neue Ecken und alte Klischees, die sich in Luft auflösen.
Fazit: Wer Neukölln auf eigene Faust erkunden will, braucht kein Guidebook – nur offene Augen, einen leeren Magen und viel Neugier.

Warst du schon mal nüchtern am Sonntag in Neukölln unterwegs? Falls ja: Respekt – und her mit deinen Tipps. Falls nein: vielleicht wird’s Zeit. Kommentare offen – ich bin gespannt!
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