Romantik, Markusplatz, Lagunenstadt, Donna Leon, blablabla. Bis dato hatte ich keine große Lust nach Vendig zu fahren. Zu verkitscht, zu voll, zu teuer – dachte ich. Und als „Individual-Tourist“ ist das eh‘ uncool. Siehe da, ich habe auch bei diesem Trip wieder etwas dazugelernt und kann jetzt den Reisetipp Venedig – wenn auch mit Einschränkungen – mit voller Überzeugung weiterempfehlen.
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Reisetipp Venedig – Erkenntnisse
Venedig erreicht Ihr von Deutschland aus blitzschnell. Mein Flug von Stuttgart dauerte weniger als eine Stunde. Check. Der Flughafen Marco Polo aber ist derzeit – Stand September 2016 – eine einzige Baustelle und entsprechend unübersichtlich.
Der Transport mit dem (vorbestellten) Wassertaxi und die Organisation an der zehn Minuten entfernten Anlegestelle ist noch chaotischer. Dazu kommen schwüle 30 Grad, die das Warten auf das Boot nicht erträglicher machen. Die zirka halbstündige Fahrt durch die Lagune ist ein kleiner Höllenritt und jede Bugwelle ein Härtetest für den Rücken.
Und trotzdem hat sich im Verlauf der Woche ein „Warum ausgerechnet Venedig?“ zuerst in ein „Alles gar nicht so schlimm.“ und am Ende sogar in ein „Da fahr‘ ich noch mal hin.“ verwandelt.
Apropos Transfer, einen guten Überblick über die verschiedenen Optionen vom Flughafen Marco Polo ins Stadtzentrum findet Ihr hier.
Ein Wochenende – zu kurz
Wer hätte es gedacht, im Stadtkern von Venedig leben nur zirka 60.000 Menschen. Bei dieser Größe reicht normalerweise ein Kurztrip, um eine Stadt kennen zu lernen. Für Venedig müsst Ihr dafür leider – oder besser: zum Glück – mehr Zeit einplanen.
Nicht nur die Dichte an Highlights, sondern auch die Besonderheiten, die Ihr neben den bekannten Attraktionen entdecken könnt, ist immens. Daher mein Tipp: Bucht mindestens ein verlängertes Wochenende, denn selbst bei einer kompletten Woche werdet Ihr noch das Gefühl haben, ein zweites Mal hinfahren zu müssen.
„Ein Kurztrip macht wenig Sinn, dafür gibt es in Venedig einfach zu viel zu sehen.“
Preise – geht so
Ein billiges Pflaster ist Venedig nicht. Ich war trotzdem überrascht, dass im Vergleich zu anderen Touristenmagneten wie Paris oder London keine übertriebenen Mondpreise verlangt werden. Einzige Ausnahmen: der Cappuccino auf dem Markusplatz und die kitschige Gondelfahrt für € 80,00. Beides könnt Ihr aber getrost weglassen. Abseits der touristischen Top-Highlights ist das Niveau etwa vergleichbar mit deutschen (Groß-)Städten.
Museen und andere Sehenswürdigkeiten liegen etwas über den deutschen Preisen. Für den Dogenpalast oder das Gugenheimmuseum beispielsweise bezahlt man für das Basis-Ticket um die € 20,00.
„Wenn Ihr die Hot Spots meidet, dann ist Venedig günstiger als andere Top-Destinationen wie Paris oder London.“
Bei Unterkünften kommt es wie immer auf die Lage an. Am besten sucht Ihr eine Bleibe in respektvoller Distanz zum Stadtteil San Marco. Ich habe im südlich gelegenen Dorsoduro gewohnt, von wo aus man alles gut erreichen kann. Als Unterkunft kann ich Euch dort das Fujiyama Bed & Breakfast empfehlen – akzeptabler Preis unter € 100,00 mit Frühstück und familiär geführt. Daran angeschlossen ist eine Teestube mit entspannt-schönem Innenhof.
Freundlichkeit – aber ja
Als ausgebildeter Gastronom ist mir der Aspekt beim Reisen besonders wichtig. Nach den ersten Eindrücken am Flughafen hatte ich schon Berliner Verhältnissen erwartet oder zumindest die teilweise überhebliche Attitüde französischer „Dienstleister“ gegenüber Touristen in manchen Gegenden.
Auch hier hat mich Venedig die Woche über positiv überrascht. Die Servicekräfte sind in der Regel gut ausgebildet und verhalten sich Touristen gegenüber absolut korrekt. Trotz des Besucherandrangs und der Hektik machen die Venezianer einen überraschend relaxten Eindruck, was den Rummel an einigen Plätzen etwas erträglicher macht.
Ursprünglich – ein bisschen
Klar, Venedig ist gemessen an der Einwohnerzahl die Stadt mit dem höchsten Touristenaufkommen weltweit, was eine enorme Belastung ist. Trotzdem habe ich es nicht so düster erlebt, wie in der Welt Online beschrieben. Disneyland und musealer Charakter – ja, in einigen Gegenden, aber man muss sich ja nicht ausschließlich dort aufhalten.
Wohnraum im Zentrum ist nahezu unerschwinglich geworden und die Infrastruktur, besonders im Stadtteil San Marco, ausschließlich an den Tourismus angepasst. Mittlerweile wohnen viele Venezianer auf den Festland und pendeln täglich. Hinzu kommt, dass besonders für ältere Menschen das Leben in der autofreien Stadt anstrengend ist, da die einzige Transportmöglichkeit – häufig überfüllte – Boote sind.
„Man muss sich ganz bewusst auf touristische „Abwege“ begeben, um das wahre Venedig zu sehen.“
Wenn Ihr Euch aber Zeit nehmt und abseits der prominenten Viertel auf die Pirsch geht, dann könnt Ihr noch ziemlich viel „Einheimisches“ entdecken. Dort versiegen dann auch schnell die großen Touristenströme.
Empfehlen kann ich dafür den nördlichen Teil von Dorsoduro, das daran angrenzende Santa Groce und den östlichen Teil von Castello. Auch das nördlich gelegene Cannaregio – abseits des jüdischen Viertels – lässt noch ein bisschen von seinem ursprünglichen Charme erkennen.
Markusplatz – vermeiden
Wir sind im zentralen Stadtteil San Marco, wo Ihr in direkter Nachbarschaft die bekanntesten Sehenswürdigkeiten findet: Markusplatz, Markusdom, Dogenpalast und die Rialtobrücke. Der Weg dorthin führt vorbei an exklusiven Boutiquen, Ticketbüros und teuren Restaurants. Mit einem traditionellen Wohnbezirk hat San Marco schon lange nichts mehr zu tun, Zielgruppe sind ganz klar kaufkräftige Touristen.
Vielleicht liegt es an meiner Skepsis gegenüber Touristen-Highlights, aber weder der Markusplatz noch die (Dauerbaustelle) Rialtobrücke halten das, was die Reiseführer versprechen. Auf mich wirkte beides ziemlich karg und leblos trotz der geschichtlichen Hintergründe und der imposanten Renaissance-Architektur.
Der Dom ist durch seine schiere Größe und seinen kunstvollen Deckengemälden zwar beeindruckend, aber das organisierte Durchschleusen der Touristenmassen nimmt einem fast jede Lust am Staunen. Probiert es am besten ganz früh, bevor der Besucherandrang losgeht (ab 9:45 Uhr unter der Woche und 14:00 Uhr an Sonntagen).
Der Dogenpalast wiederum hat mich positiv überrascht. Durch die immense Anzahl an Räumen verteilt sich die Menge recht gut und Ihr habt ausreichend Platz, Euch in Ruhe mit den Kunstwerken und der Architektur zu beschäftigen. Leiht Euch unbedingt einen Audioguide aus, Ihr erfahrt dadurch Details und überraschende Anekdoten, die in keinem Reiseführer stehen.
„San Marco als „venezianisches Disneyland“ hat mit einem traditionellen Wohnbezirk schon lange nichts mehr zu tun.“
Nach den Besichtigungen bleibt nur noch die Flucht über die Rialtobrücke auf das andere Ufer zum Mercato di Rialto (Schwerpunkt Fisch), wo einem endlich auch wieder „richtige“ Venezianer begegnen.
Kultur – der Wahnsinn
Die Dichte an Kunst und Kultur habe ich in der Form bisher noch nirgends erlebt. Zur Erinnerung: Das Stadtzentrum ist nur 60.000 Einwohner groß, das Angebot aber vergleichbar mit Metropolen wie Paris oder London.
Es sind nicht nur die bekannten Locations und Events wie der Dogenpalast oder die Biennale, die den Kunstbetrieb prägen und es geht auch nicht nur um „altmodischen“ Renaissance-Prunk. Ihr werdet an vielen Ecken kleinere Ausstellungen und Ateliers lokaler Künstler und eine Menge „Modernes“ bis hin zur Avantgarde entdecken.
Zu meinen „Kulturerfahrungen“ im Detail geht’s hier.
Nochmal – gerne
Das nächste Mal möchte ich Venedig im Winter erleben. Der Reiz liegt nicht nur in der ruhigeren Nebensaison, sondern in der besonderen Stimmung, die an einen meiner absoluten Lieblingsfilme – Wenn die Gondeln Trauer tragen – erinnert. Dann aber hoffentlich mit einem besseren Ende.
Zum zweiten Teil des Reiseberichts geht’s hier.